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Arbeitszeugnis – für ein korrektes Gesamtbild

Veröffentlicht am 10.05.2017
Arbeitszeugnis – für ein korrektes Gesamtbild
Katrin Juntke hat als HR Managerin über 300 Zeugnisse erstellt. Sie weiss, Arbeitszeugnisse kosten die Unternehmen Geld: 40 Prozent der arbeitsgerichtlichen Prozesse werden geführt, weil Mitarbeitende gegen ihre Beurteilungen vorgehen. 
Katrin Juntke, es ist bestimmt nicht immer einfach, im Sinne der Ehrlichkeit und des Wohlwollens eine schriftliche Beurteilung eines Arbeitnehmenden vorzunehmen?
Katrin Juntke:
Richtig, das ist manchmal eine echte Gratwanderung für den Verfasser. Bestätigen können dies wohl die meisten Personalverantwortlichen: Der Umgang mit Arbeitszeugnissen kann viel Zeit und Nerven kosten. Denn die Formulierung hat den Prinzipien von Vollständigkeit, Wohlwollen, Wahrheit und Klarheit zu genügen. Die Zeugnisformulierung soll das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht erschweren. Trotzdem muss der Arbeitgeber auch negative Leistungs- und Verhaltensaspekte von besonderer Wichtigkeit und Wiederholung erwähnen. Und ein Grossteil der Klagen könnte vermieden werden – wenn die Zeugnisse fachgerecht erstellt würden.

Wo passieren beim Verfassen eines Zeugnisses die meisten Fehler?
Katrin Juntke:
Fehler passieren, wenn der Aufbau und die Bestandteile eines Zeugnisses nicht befolgt werden. Ein Zeugnis beinhaltet Einleitung, Vorname, Name des Arbeitnehmenden, Geburtsdatum, Bürgerort, Funktion, Beschäftigungsdauer und eventuell Unternehmensprofil. Gefolgt werden die Angaben von Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibung, Arbeitsbereitschaft, Fachwissen, Arbeitsweise, Erfolge, Sozial- und Teamverhalten, Kündigungsgrund und schliesslich dem Abschlusssatz mit Bedauern, Danksagung und Zukunftswünschen sowie rechtskonforme Unterschriften und Ausstellungsdatum des Zeugnisses. Es gibt immer wieder Zeugnisse, in denen ein Bestandteil fehlt; es ist dann dem Leser überlassen zu urteilen, ob dies absichtlich geschehen ist oder es – zum Beispiel bei einem Kleinbetrieb – an der fehlenden Erfahrung bei der professionellen Zeugnisformulierung liegt. Diese Tatsache sollte der Leser unbedingt beachten, damit der Bewerber keinen Nachteil im Rekrutierungsprozess erfährt.

Seriös verfasste Arbeitszeugnisse dienen ja nicht bloss dem Arbeitnehmer? 
Katrin Juntke:
Das ist richtig. Obwohl dem Arbeitszeugnis oft nur ein kleiner Stellenwert zugeschrieben wird, ist nicht zu vergessen, dass ein einwandfrei abgefasstes Arbeitszeugnis das jeweilige Unternehmen in ein positives Licht rücken kann – es wirkt über Jahre hinweg als Visitenkarte. 

…und das Arbeitszeugnis ist auch eine Visitenkarte des Arbeitnehmers.
Katrin Juntke:
Absolut. Ein Zeugnis ist für den Mitarbeitenden von grosser Bedeutung. Ein Arbeitszeugnis, welches persönliche Fähigkeiten, Kompetenzen und Arbeitserfolge beurteilt, schafft Vertrauen bei potenziellen Arbeitgebern und trägt dazu bei, dass zueinander passende Unternehmen und Bewerber schneller und zielgerichteter zusammenfinden. Es widerspiegelt den Aufgabenbereich, die Kompetenzen, die Arbeitsweise und Qualitäten des Mitarbeitenden. Zugleich kommuniziert es die Kultur eines Unternehmens nach aussen. Es lohnt sich also für beide Seiten, das Potenzial des Arbeitszeugnisses zu nutzen. 

Wann soll man ein Arbeitszeugnis verlangen?
Katrin Juntke:
Das Arbeitszeugnis ist am letzten Tag der Beschäftigung fällig. Ein Arbeitnehmer kann aber schon bei der Kündigungsaussprache ein vorläufiges Zeugnis verlangen. Selbstverständlich kann man jederzeit ein Zwischenzeugnis verlangen, wie etwa beim Wechsel des Vorgesetzten oder bei Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz mit einem anderen oder erweiterten Aufgaben- und Verantwortungsgebiet.

Wird denn heute noch geflunkert was den Inhalt des Zeugnisses betrifft?
Katrin Juntke:
Das wird sicherlich noch der Fall sein, auch wenn bestimmt nicht immer mit Absicht. Doch Gefälligkeitszeugnisse oder zu gute Zeugnisse können den Arbeitnehmer bei interessierten Arbeitgebern zu kompetent erscheinen lassen. Mit Nichterwähnungen oder ungerechtfertigten Topzeugnissen setzt sich der Arbeitgeber der Gefahr einer Schadenersatzpflicht gegenüber nachfolgenden Arbeitgebern aus. Ehrlichkeit zahlt sich also auch in diesem Bereich aus.

Früher war of die Rede von codierten Zeugnissen.
Katrin Juntke:
"Geheimcodes"  werden in Arbeitszeugnissen so gut wie nicht mehr verwendet. Viele Unternehmen bekennen sich zu uncodierten Arbeitszeugnissen. Und dennoch wird auch heute noch argwöhnisch nach Kritik zwischen den Zeilen gesucht. In der Praxis werden negative Beurteilungen überwiegend dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die entsprechende Beurteilung einfach weggelassen wird.

Und worüber sollte nicht geurteilt werden?
Katrin Juntke:
Zurückhaltung ist bei mehrdeutigen und fehlinterpretierbaren Aussagen zu persönlichen Eigenschaften oder Charakterzügen geboten, die Diskriminierungspotenziale bergen. So zum Beispiel Aussagen zum Humor, zum fröhlichen Wesen, zum Erscheinungsbild, und so weiter. 

Wann kann ein Arbeitnehmer ein Zeugnis ablehnen?
Katrin Juntke:
Wenn die Pflicht zur wohlwollenden Formulierung nicht eingehalten wird. Besteht ein Arbeitnehmer auf eine bessere Zeugnisformulierung, sollte er das Gespräch mit dem Verfasser suchen und die Änderungswünsche anbringen – diese muss er nötigenfalls beweisen können. Ebenso müsse der Arbeitgeber die Gründe für ein schlechtes Zeugnis dokumentieren können. 

Das Verfassen eines rechtlich und inhaltlich korrekten Zeugnisses ist bestimmt auch eine sprachliche Herausforderung?
Katrin Juntke:
Die rechtliche Verpflichtung sowie die wohlwollende Beurteilung sicherzustellen, sorgt beim Verfasser oft für einen heissen Kopf. Ein Zeugnis zu schreiben wird somit für so manchen Personalverantwortlichen zum sprachlichen Balanceakt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verbindung von Wahrheit und Wohlwollen durch indirekte oder „zwischen den Zeilen“ versteckte Kritik riskant ist. Profis haben wahrscheinlich mehr Übung, um differenzierte, aussagekräftige Zeugnisse zu erzielen als jene Verfasser, die einmal pro Quartal ein Zeugnis verfassen. Mittel- und Kleinbetriebe stehen hier oft vor einer grösseren Hürde, da die direkten Vorgesetzten das Zeugnis selber formulieren müssen und keine Unterstützung von einer Personalabteilung in Anspruch nehmen können. Externe Spezialisten leisten dabei Unterstützung für ein individuelles Zeugnis.

www.katrinjuntke.ch